Dein Almosen soll verborgen bleiben
Ein Gespräch mit den [ mittendrin ] Herausgebern Peter Bulowski, Harald Fischer und Stefan Krönung über das Schwierige und Leichte beim miteinander Teilen und einander Helfen
[ mittendrin ] Was haben Sie zuletzt geteilt?
Fischer: Zu allererst fällt mir Zeit ein. Andere Dinge hier zu nennen, finde ich schwierig. Das Meiste verlangt Diskretion. Außerdem will ich mich hier nicht mit „guten Taten“ schmücken.
Bulowski: Zeit teilen ist für mich selbstverständlich. Darauf kann man sich gut einlassen.
Krönung: Über meine „guten Taten“ will auch ich hier nicht reden. Es scheint (lacht), dass wir zu einem Kreis von Menschen gehören, die solche Dinge in verrückter Art und Weise sehr leidenschaftlich tun.
Bulowski: Ein bißchen verrückt, ja!
[ mittendrin ] Wo und wie wir helfen, wird also nicht so ohne Weit/eres öffentlich gemacht?!
Fischer: Was ich sagen kann: Ich gebe sicher jeden Monat deutlich mehr als den Zehnten meines Einkommens für Projekte.
Krönung: Das Teilen, das „Almosen austeilen“ können wir gut machen, weil wir privilegiert sind.
Fischer: Ich habe mal zu einer Gruppe von Priestern gehört, die meinten, sie würden als zölibatäre Priester zu viel verdienen. Es ist relativ „lukrativ“, mit meinem recht guten Verdienst dem Kreuz Christi zu folgen. Aber eigentlich halte ich das nicht für akzeptabel. Eine Gehaltskürzung war jedoch nicht durchzusetzen. Mittlerweile genieße ich die Freiräume, die mir das Geld auch an Hilfsaktionen ermöglicht.
[ mittendrin ] Warum ist es so schwierig, über das Helfen zu sprechen?
Fischer: Dazu steht ganz klar in unserem „Arbeitsmittel Bibel“ bei Matthäus, Kapital 6, Vers 3 und 4: „Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut. Dein Almosen soll verborgen bleiben und dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.“
Krönung: Ja, das wird gutgeschrieben. Das ist so ein mittelalterlich-christlicher Gedanke: Du musst Gutes tun, damit es dir für den Himmel angerechnet wird. Warum nicht? Zum Beispiel die Malteser: Während der Zeit der Kreuzzüge haben die nicht anders gerechnet als „wenn wir das Gute machen, wird das addiert“. Das addiert sich zu guten Werken. Wenn wir das richtig professionell machen, kommt richtig Gutes dabei herum.
[ mittendrin ] Wie schätzen Sie die Hilfsbereitschaft der Menschen hier ein?
Bulowski: Die Bereitschaft zum Helfen ist sehr groß wenn die Leute wissen, wofür das Geld verwendet wird. Das ist der große Hemmschuh: Die Leute wollen nicht, dass das Geld in falsche Kanäle fließt. Die Leute wollen denen vertrauen, die vor Ort helfen und für den Geldfluss sorgen.
Fischer: Es gibt wirklich eine großzügige Bereitschaft: Als vor sechs Jahren der Tsunami über Asien hereinbrach, habe ich einen einzigen Aufruf in der Zeitung gestartet. Sofort konnten wir dafür hundert Kinder für zwei Jahre ernähren und ihnen einen Schulbesuch ermöglichen.
Bulowski: Ein anderer Einwand gegen das Helfen und Teilen ist der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Ich liebe diesen Tropfen auf den heißen Stein – das sage ich ganz deutlich. Irgendjemandem hilft’s und der freut sich.
[ mittendrin ] Ist miteinander Teilen etwas Christliches?
Bulowski: Nein. Es gibt Menschen, die einfach miteinander teilen. Da spielt es keine Rolle, ob sie Christen sind oder nicht. Für mich ist Teilen nichts spezifisch Christliches. Vielleicht von der Motivation her – dass Christen eher bereit sind zu teilen. Aber Teilen ist keine Spezialität des Christentums. Jedenfalls heute nicht. Vielleicht war das mal anders?!
Krönung: Unsere Natur macht uns zu solidarischen Wesen. Sonst könnten wir nicht existieren. Es gibt ja auch den Vorwurf ans Christentum, dass wir das Betteln und diesen Blick auf die Armut in die Gesellschaft hineingetragen haben. Diese pausenlos guten Taten nach den Gottesdiensten hat erst die Gruppe der Bettler möglich gemacht.
Fischer: Ich sehe noch einen anderen Aspekt: Ein Bürgermeister hat die Aufgabe, für das Wohl seiner Kommune zu sorgen. Eine Bundeskanzlerin ist auf das Wohl des Landes verpflichtet. Das EU-Parlament hat den Auftrag, auf die europäischen Staaten zu achten. Die Christen schauen auf eine universale Gerechtigkeit. Damit sprengen sie Grenzen. Sie sind Unruhestifter und haben ein kritisches Potenzial. Das heißt: Immer da, wo Christen in Notsituationen helfen, geht es auch um die politische Dimension der universalen Gerechtigkeit: Denjenigen, die unsere Hilfe bekommen, helfen wir auch, selbstverantwortliche Subjekte ihres eigenen Handelns zu werden – und eben nicht Objekte von Hilfszuwendungen zu bleiben. Wir setzen uns für Strukturen ein, die es den Notleidenden ermöglicht, eine solche Gerechtigkeit in ihrem eigenen Umfeld zu schaffen.
Bulowski: Beide Elemente sind wichtig: die akute Hilfe und der Einsatz für gerechte Strukturen, das heißt, die Wunden zu versorgen und diejenigen zu benennen, die die Wunden geschlagen haben.
[ mittendrin ] Wie sieht es in Kassel mit dem Teilen und Helfen aus?
Krönung: Ich muss jetzt um Solidarität kämpfen, und zwar auch innerhalb unserer katholischen Gemeinden. Die Ausgaben für unsere caritative Arbeit sind größer als die Einnahmen unserer einzelnen Kirchengemeinde. Das heißt: Ich muss mehr und deutlicher betteln gehen, auch bei meinen Nachbarpfarreien, und einen Solidargedanken hier in dieser Stadt installieren. Wir bauen in unserer Sozialstation eine Kindergrippe mit Mitteln, die wir eigentlich gar nicht haben. Und in derselben Stadt scheint es noch christliche Ort zu geben, wo Mittel reichlich vorhanden sein. Auch das ist Kassel.
Fischer: Das stimmt. Die Solidarität unter uns unterschiedlichen Gemeinden müssen wir neu stärken. Es fehlt sicher nicht an Bereitschaft zu helfen, sondern eher an Gesprächen und Information.
Krönung: Wir teilen ja auch unsere Glaubensgeschichten, unsere Glaubenserfahrungen. Das ist ein ganz wertvolles Teilen, eine Quelle für unsere Zuversicht.
Fischer: Wenn in unserer Gemeinde jemand in Not gerät, dann gibt es immer Einen oder Mehrere, die bereit sind zu helfen. Wenn bei uns jemand fällt, dann fällt er in ein Netz von Hilfsbereitschaft und Zuwendung.
Bulowski: Das gilt auch für unsere Gemeinde. Aber es gibt in Kassel genug Fälle, in denen Hilfe mehr als schwierig ist. Wir haben viele soziale Einrichtungen. Und es ist immer noch zu wenig.
Krönung: Die Zahl der Menschen ist groß, die in keine Hilfsmaßnahmen mehr passen und die keine Hilfsangebote mehr erreicht. Die Kirche hier wird zum Ausweichquartier, weil alle anderen Sozialeinrichtungen nicht mehr ertragen werden. Warum, weiß ich nicht. Unsere Kirche entwickelt sich zu einem Schonraum, einem Ort, wo ich - egal wer und wie ich bin – sein kann.
Das Gespräch führten Christoph Baumanns und Birgitta Schwansee.
Peter Bulowski, Moderator des Pastoralverbund Kassel-Mitte, wurde 1951 in Kassel geboren und 1985 zum Priester geweiht. Er ist seit 17 Jahren Pfarrer der Gemeinde Sankt Bonifatius und betreut seit 2000 auch die Innenstadtgemeinde St. Elisabeth.
Der 56jährige Harald Fischer ist seit 1997 Pfarrer von Sankt Familia in der westlichen Innenstadt und seit 2002 auch Dechant des Dekanates Kassel-Hofgeismar, zu dem 33 Gemeinden zwischen Kassel und Hofgeismar gehören. Der gebürtige Kasselaner wurde 1983 zum Priester geweiht.
Stefan Krönung, „Bettelpfarrer“ von St. Joseph und St. Laurentius in Kassels Norden, ist 46 Jahre alt und seit Sommer 2007 in Kassel tätig. Gebürtig kommt er vom Petersberg bei Fulda, 1990 wurde er zum Priester geweiht.