Charakterköpfe,
so nennt der junge Fotograf Stephan Rauh
seine Fotoportraits obdachloser Menschen.

Ein freywilliger Armer

Ungekürzte Fassung

Benedikt Labre: Patron der Penner und der Bettler

„Seyn Leben war eine ununterbrochene Reihe von Leiden aller Arth. Der Hunger, der Durst, die Blöße, die Kälte, die Hitz, das Ungeziefer so ihn beynahe aufzehrte, Spott Schimpf, Unbilden, Krankheiten, Schläge, kurz eine beständige Abwechslung von Trübseligkeiten könnten ihn nicht aus seiner Fassung bringen, ja er änderte dabey nicht einmal seine Gesichtszüge. In der Mitte so vieler Widerwärtigkeit blieb er immer gleichmüthig, immer munter und frölich ein freywilliger Armer.“

So beschreibt ihn 1783 Don Guiseppe Marconi in „Kurzgefaßte Lebensgeschichte des Dieners Gottes Benedikt Joseph Labre, eines Franzosen“. Benedikt Labre hätte es im Leben leichter haben können. Genau das wollte er nicht. Für sich selber nichts. Vielleicht wollte er unsichtbar sein. „Er schien seiner selbst zu vergessen und das Herz nicht zu haben etwas zu fo(r)dern“. Er kleidete sich immer in zerfledderte Lumpen. Körperpflege? Weshalb denn, wenn ihm sein Leib ihm nichts wert ist? Als ihm Priester in Rom Geld geben wollten, damit er sich zu Weihnachten mal rasieren ließ – abgelehnt. Ist doch egal, wie ich aussehe. Auf mich kommt’s nicht an? Ein gewaltfreier Revoluzzer im Aufstand gegen Erwartungen, gegen das „comme-il-faut“?

EINFACH NUR BETEN
Vielleicht. Fragen wir ihn! Benedikt Labre, Was willst du? „Beten. Einfach nur beten.“ Genau das tat er. Als Reliquien werden in der kleinen Kapelle nahe der römischen Kirche „Madonna dei Monti“ zwei Rosenkränze aufbewahrt. Was eigentlich kann man über so einen noch schreiben? Vielleicht besser gar nichts. Das wäre nämlich bestimmt nicht in seinem Sinne. Sich selber fand er unwichtig. Liest man in der Biographie genauer nach, scheint es so, dass Benedikt Labre sein Unwichtigsein nahezu gefeiert hat: „... er frolockte, wenn man ihn als einen Räuber mißhandelte, er sich aus Demuth eines Almosen unwürdig achtete...er wünschte, verachtet zu werden...“ Auf 381 Seiten hat Don Guiseppe das Leben von „Gottes Vagabunden“ aufgeschrieben. Guiseppe Marconi war in Rom der letzte Beichtvater von Labre. Nach dessen Tod 1783 forschte Don Guiseppe bei Eltern, Verwandten, Menschen, denen er begegnet war, nach.
Was war das für einer? Ein Stiller. Einer, der die Stille sucht. Ältester von 15 Kindern eines Kleinbauern und Krämers, geboren am 26. März 1748 in einem nordfranzösischen Dorf. Als Fünfjähriger konnte er lesen und schreiben „und dieses aus keiner anderen Absicht als um für sich selbst die ersten Anfangsgründe unserer Religion, für die er ganz eingenommen war, lesen und mit eigener Hand ausschreiben zu können“, erklärt Don Guiseppe und beschreibt weiter: „Nie betrug er sich kindisch in seinen Handlungen... Er verabscheute das Leben und liebte Spiel und Scherze nicht. Unser Benedikt Joseph betrug sich sanft, ruhig und friedfertig gegen alle.“ Er ging gerne in die Kirche, richtete sich eine kleine Hauskapelle ein, „worin er die Ceremonien der Mess nachahmte, bis er dem Priester beym Altare dienen durfte.“

UNERREICHBAR
Als er zwölf war gaben ihn die Eltern zu seinem Paten, einem Pfarrer in der Nachbargemeinde. Der wollte ihn auf eine geistliche Laufbahn vorbereiten. Doch das klappte nicht, Benedikt taugte nicht zum Studieren. „Logik eckelte ihn“, schreibt Don Guiseppe. Das Klosterleben interessierte ihn mehr als der Priesterberuf. Schon als 16jährger wollte er in Klöster; doch die Eltern gaben ihm anfangs keine Erlaubnis. Später nahmen die Kartäuser von Neuville ihn auf, doch in der Abgeschlossenheit der Kartause bekam er Angst. Er wurde entlassen. Zwischendurch wieder daheim schlief er nie auf seinem Bett sondern immer auf dem Boden. Als seine Mutter ihn davon abbringen möchte, „so ein strenges Leben gegen sich“ zu führen, ihn davon abhalten will, wieder los zu ziehen: „du wirst außer in deinem väterlichen Hause keinen nötigen Untherhalt finden“, antwortet er: „Liebste Mutter, laßt mich immer gehen. Ich werde von Wurzeln wie alte Einsiedler leben. Mit der Gnade Gottes vermögen wir, was sie vermochten.“ Mensch Benedikt, voll in der Pubertät, im Aufstand gegen die Eltern? Wächst sich doch aus, kennen wir alle – bei Benedikt war es nicht so. Er muss einfach tief gläubig und dadurch unerreichbar für die „normale Welt“ gewesen sein. Zu den Mönchen von La Trappe wollte er. Die „Trappisten“ – bekannt für strenge Askese und unbedingtes Schweigegebot – nahmen ihn nicht auf, wegen seiner Jugend und seiner schwachen Gesundheit. 1769 nahmen ihn in Septfonds (südöstliches Frankreich) die Zisterzienser auf. Doch daraus wurde auch nichts: Er hat zu extrem gefastet, wurde deshalb krank. Also wandert Benedikt Labre nach Italien. Alle Bewerbungen in Klöster wurden abgelehnt. Im Spätsommer 1770 erkennt er: „Gott hat für mich ein anderes Leben als eines im Kloster vorgesehen“, schreibt er in einem Brief an die Eltern. Fortan lebte er als bettelarmer Pilger, ein „freywilliger Armer“, der auf alles verzichtet. Benedikt pilgert 13 Jahre lang durch Italien, Frankreich, die Schweiz, Spanien, Deutschland.

ARM. ALLEIN. BESCHEIDEN.
Wie hat er gelebt? Arm. Allein. Bescheiden. Er schlief in Armenhospizen oder irgendwo unter Büschen, auf der Erde. Ab 1774 war Rom sein „Hauptwohnsitz“, dorthin kehrte er immer wieder zurück. Er aß, was Menschen ihm gaben. Manchmal aß er vom Müll. Er nahm nicht alles an, was sie ihm geben wollten. Vieles, was er annahm, gab er gleich weiter an andere Arme. Don Guiseppe beschreibt immer wieder solche Szenen: ein „Guthteter“ will dem Benedikt Schuhe geben, der lehnt erst ab, soll aus drei Paar Schuhen auswählen und nimmt die abgenutztesten.
Wie gingen die Menschen mit ihm um, wie fanden sie ihn? Wunderlich, seltsam, abstoßend? Don Guiseppe schildert, wie Benedikt Labre von Jugendlichen verachtet, verspottet, getreten, geschlagen, mit Steinen beworfen wird. „Unser Benedikt“ blutet, erleidet Schmerzen und schweigt. Lässt sich nichts anmerken, zeigt niemals Schmerz, wehrt sich nicht. Solch ein Verhalten hat ihn zu einem Besonderen, einem Heiligen gemacht. So einer ist doch kein richtiger Mensch, wenn er den frechen Jugendlichen nicht mal eine Ohrfeige oder Standpauke verpasst. Einmal bremst er sogar eine Nonne aus, die mit den Jugendlichen schimpft. Einzig dann begehrt er auf, wenn es gegen Gott geht, wenn Worte und Taten gotteslästerlich sind. „... er beschloß stets zu reden, wie ers im Herzen hätte“. Ansonsten spricht er wenig mit den Menschen. Mit Gott viel: er betet so oft und lange, dass er an seinen Knien große Geschwüre bekommt. Für sein Leben hat er drei Regeln aufgestellt, die er niemals brach; Don Guiseppe schreibt: „Er dachte, daß wir, um die Gleichförmigkeit mit Jesu Christe zu erhalten, unser Herz nach dem Vorbild des Seinigen gestalten müssen. Hiezu pflog er zu sagen, müsse man drey Herzen in einem haben; erstlich ein ganz reines, ganz aufrichtiges und ganz heiliges Herz um Gott zu lieben, ihm zu dienen und alle Trübseligkeiten mit Geduld zu ertragen, die er uns die ganze Zeit des Lebens über etwas schicken möchte. Zweytens ein ganz unverstelltes, liebevolles und freygebiges Herz gegen den Nächsten... Drittens ein ganz unerbittliches, strengs und starkmüthiges Herz gegen uns selbst, so daß wir den Forderungen unserer Leidenschaft nie willfahren, das sinnliche Vergnügen verabscheuen und den eigenen Leib abtödten und kreuzigen.“

GOTTES WILLE GESCHEHE
Vor seiner Lieblingskirche Madonna dei Monti brach er im April 1783 zusammen und starb in einem nahen Wohnhaus. „Sein ganzes Leben ein stets ununterbrochenes Gebeth gewesen, gleich einem Todtengerippe abgezehrt war er.“, schreibt Don Guiseppe und beantwortet die Frage, was dieser „freywillige Arme“ geleistet hat: „...durch die vielen und ausgezeichneten Wunder, die Gott auf seine Fürbitt gewirkt haben soll....“ Über 100 Wunder soll es in Bezug auf ihn gegeben haben. Ein guter Grund, dafür, dass Papst Pius IX. ihn am 20. Mai 1869 selig und Papst Leo XIII. ihn am 8. Dezember 1883 heilig sprach. Einer von 6650 Heiligen, die im Verzeichnis „Martyrologium Romanum“ aufgelistet sind.

Er wurde zum Patron der Pilger ernannt. Im Laufe der Zeiten wurde er Patron der Penner, der Bettler der Landstreicher; vielleicht ist er Patron der Suchenden. Viele Unterkünfte für Obdachlose weltweit benennen sich nach ihm und arbeiten nach dem Gebetssatz, den er immer wieder gesprochen und den er wirklich gelebt hat: “Gottes Wille geschehe.“

Sabine Wilms

Quelle: Don Guiseppe Marconi in „Kurzgefaßte Lebensgeschichte des Dieners Gottes Benedikt Joseph Labre, eines Franzosen“, Übersetzung in Augsburg, 1787, von der Bayerischen Staatsbibliothek digitalisiert im Internet

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